»Wahre Freiheitsluft« — Varnhagen und die Revolution 1848/49
Schon Jahre vor 1848 konstatierte Varnhagen, dass die politische Freiheit nur auf einem ganz anderen Weg als dem bisher beschrittenen zu erlangen sei. Er sah die Revolution kommen und beschrieb häufig die extreme polizeiliche und bürokratische Willkür im preußischen Staat.
Die Revolution von 1848, insbesondere die Ereignisse des März, stellte für ihn ein zentrales und epochales Ereignis in der deutschen Geschichte dar. Er betrachtete das Jahr 1848 als den unvergänglichen „Festtag“ in der nationalen Historie, den er mit dem Jahr 1789 für die Franzosen gleichsetzte.
Varnhagen sah sich als direkter Zeuge dieser historischen Zäsur und betonte die persönliche Erfahrung, in dieser Zeit „wahre Freiheitsluft geathmet“ zu haben. Für ihn brachte die Revolution die Verwirklichung großer Möglichkeiten, wie die Einführung der Pressefreiheit, öffentlicher Gerichte und den Beginn des parlamentarischen Lebens. Er sah darin das Beste und Höchste der Deutschen manifestiert – deren Einigkeit und reinstes sittliches Streben. Trotz aller späteren Rückschläge blieb das Bewusstsein, einmal eine aus Urwahlen hervorgegangene Nationalversammlung besessen zu haben, eine unzerstörbare Tatsache.
Sein Urteil über den Verlauf und das Scheitern der Bewegung verschärfte sich jedoch über die Jahre. Er beurteilte die Revolution als „halb“ und konstatierte, dass sie an ihrer „eigenen Gutmüthigkeit und Zurückhaltung“ scheiterte und auf ihre machtvollen Waffen verzichtete. Die Zeit nach 1848 war von der „scheußlichen Gewaltsamkeit[en]“ der Regierung geprägt, die bürgerliche Rechte massiv einschränkte. Die Führungselite, inklusive König Friedrich Wilhelm IV., kritisierte er scharf für ihr Versagen und ihre „Treulosigkeit und Bosheit in den obern Regionen“ und beschrieb sie als „wortbrüchig, brutal, gewaltthätig, rachsüchtig und heuchlerisch“. Aufgrund dieser Enttäuschung über die Monarchie sah Varnhagen eine politische „Religion“ der Demokratie entstehen.
Ungeachtet der politischen Niederlage und der einsetzenden Repression verfestigte sich Varnhagens Überzeugung von der unvermeidlichen Entwicklung zum Besseren. Er sah in der Revolution einen „gewaltigen Ruck“, der die herrschenden Zustände veränderte und die „Freiheitsschule für die Deutschen eröffnet“ hatte. Er war überzeugt, dass die Erfahrungen von 1848 nicht ungeschehen gemacht werden könnten. Das hat er bis in letzten Jahre seines Lebens immer wieder betont.
Seiner Meinung nach arbeitete die Reaktion, indem sie die bürgerliche Ordnung untergrub und die politische Klasse zum „erbärmliches Flickwerk“ verkommen ließ, ungewollt auf die nächste, gründlichere Revolution hin. Für Varnhagen blieb die unerschütterliche Gewissheit, dass die Sache der Freiheit siegen werde, sei es „in zweitausend Jahren oder übermorgen“.