Ruge: Der Demokrat


Christoph Hamann:
Gleichberechtigte Unternehmer, Arbeiter und Eigentümer.
Zu Arnold Ruges Novelle »Der Demokrat«.


Die Novelle erzählt die Geschichte des jungen Demokraten Adolf Duclos und seiner politischen Freunde, die für die Ablösung der Monarchie zugunsten einer Republik kämpfen. Die Handlung setzt im Februar 1848 ein, als die Nachricht von der Februarrevolution in Paris auch Potsdam erreicht und die Freunde in helle Aufregung versetzt. Handlungsorte sind zunächst Potsdam und Berlin, später aber auch Breslau und der Odenwald. Die Geschichte endet Ende 1849 mit dem Scheitern der Revolution und dem Plan der Freunde, in den USA eine genossenschaftlich organisierte Gemeinde zu gründen. 

Die politischen Kämpfe und Konflikte werden in Ruges Erzählung ausgetragen zwischen den gemäßigten Demokraten rund um Adolf Duclos und den gegnerischen Royalisten bzw. der Reaktion einerseits und den radikalen Demokraten im „Club der roten Republikaner“ andererseits. Die liberale Position der konstitutionellen Monarchisten spielt in der Erzählung keine Rolle.

Adolfs Freunde versuchen mäßigend auf die „sozialen Terroristen“ (76) im „Club der roten Republikaner“ (151) einzuwirken, weil sie befürchten, dass deren Politik mit der Anwendung von Gewalt und Zerstörung den Royalisten den willkommenen Anlass für ein militärisches Eingreifen bietet. Die „sozialen Terroristen“ wiederum bedrohen Duclos mit dem Tode, weil er sich ihren Plänen widersetzt.

Das gleiche Motiv zeigt sich noch einmal beim Kampf auf dem Köpenicker Feld im Oktober 1848. Die Gruppe um Duclos will eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen den Erdarbeitern und der Bürgerwehr verhindern. Regierungsrat von Eschen aber, ein skrupelloser Intrigant, versucht den Konflikt im Verborgenen zu eskalieren. Tote nimmt er dafür in Kauf und auch vor Mord – einem Attentat auf Duclos – schrickt er nicht zurück. Der Plan der Gegenrevolutionäre, die demokratische Bewegung zu zerschlagen, misslingt jedoch.

Die Konflikte verdeutlichen auch Ruges Position, der zufolge die reaktionären Royalisten die Hauptgegner der Demokraten seien. Diese wiederum sind, so Ruge, die wahren Vertreter des Interessen des Volkes. Seine Sympathie gehört eindeutig den reformorientierten Demokraten. 

Duclos und sein Vertrauter, der Arzt Dr. Wurz, setzen nun große Hoffnung in die Demonstration am 31. Oktober 1848. Die Teilnehmer sollen eine „Monsterpetition“ (149) an die preußische Nationalversammlung überbringen, mit der Aufforderung: Sie „möge Preußen mit seiner ganzen Macht zur Rettung Wiens aufbieten“ (151). Die Demonstration verläuft jedoch anders als erhofft. Nur ein „nothdürftiger Zug“ (150) versammelt sich auf dem Alexanderplatz. Weder die Arbeitervereine noch die Bürgerwehr beteiligen sich in großer Zahl.

Dr. Wurz spottet über die geringe Beteiligung und die fehlende Bereitschaft der Berliner, „unsterblich zu werden“ (150). Es wird deutlich, dass die demokratische Bewegung in Berlin keine Massenbasis mehr hat und nicht in der Lage ist, die Macht zu übernehmen. Die Gegenrevolutionäre nutzen diese Schwäche aus, um die Nationalversammlung zu entmachten und die alte Ordnung wiederherzustellen. Die Niederlage der Revolution in Wien im November 1849 markiert den Wendepunkt. Die Konterrevolution siegt auch in Preußen.

Duclos muss mit seinen Freunden, dem Arzt Dr. Wurz und dem ehemaligen Artillerieoffizier Rohr, flüchten; zunächst gehen sie nach Breslau. Dort hoffen sie auf eine Erhebung der Provinzen für die Nationalversammlung. Doch die Unterstützung bleibt aus. Die drei Freunde fliehen weiter und gelangen schließlich in den Odenwald. Hier wird Adolf noch einmal in Kämpfe verwickelt und verletzt.

Nach seiner Genesung erwarten ihn seine Ehefrau Francisca und ihr Vater Amasa. Die Pläne für die Emigration werden nun konkret. Franciscas Vater bietet finanzielle Unterstützung für die Gründung einer Gemeinde in den Vereinigten Staaten und lädt Duclos und seine Freunde zur Überfahrt auf sein Schiff ein, das bald von Amsterdam aus in See stechen wird.

Eine besondere Rolle spielen auf der Flucht zwei Frauen: Söffchen, die Geliebte eines demokratischen Offiziers, unterstützt die Flucht der Revolutionäre, indem sie sich als Kutscherin ausgibt und den Fluchtwagen durch das feindliche Militär lenkt. Karoline, die Tochter eines prominenten Demokraten, rettet den verwundeten Adolf vor der Verhaftung und zeigt dabei große Tapferkeit und Klugheit. 

Francisca, die amerikanische Ehefrau von Duclos, ist eine zentrale Frauenfigur der gesamten Erzählung, denn sie verkörpert die Ideale von Freiheit und Unabhängigkeit, bleibt der deutschen Revolution gegenüber aber skeptisch. Sie traut den Deutschen keine wirkliche Revolution zu.

Vertiefung: USA als Zukunftsvision

Die Vereinigten Staaten sind einerseits die rahmende Klammer in Ruges Novelle. Die Handlung beginnt am 22. Februar 1848 in Potsdam, wo der US-amerikanische Kaufmann Amasa Wild zwei Tage vor der Ausrufung der Republik in Frankreich seinen Geburtstag feiert. Und die Erzählung endet mit dem Plan der Auswanderung der gescheiterten Demokraten nach den USA, um dort eine Gemeinde der Freien, der Gleichberechtigten und Gleichbesitzenden zu gründen.

Doch nicht allein dies: Die Vereinigten Staaten verkörpern als einer der „beiden Musterstaaten“ (39) neben der Schweiz das politisch vollkommen Andere, das „europäisch Undenkbare“ (19), nämlich die Republik. Dies ist zugleich die normative Achse, um die sich die gesamte Erzählung Ruges wie auch seine Protagonisten gruppieren. Als ideeller Gegenentwurf zu Europa und vor allem zu Deutschland bieten die Vereinigten Staaten Ruge zugleich den Maßstab zur Beurteilung des alten Europas. 

Ein Maßstab jedoch, der sich genau besehen aber nicht speist aus einem realen, sondern einem idealisierten Amerika ohne Sklavenhaltung und ohne indigene Bevölkerung. Die Vereinigten Staaten fungieren allein als Projektionsfläche des Autors, um einen realen Ort für seine politischen Visionen in und für Europa zu haben. Wie diese Zukunft gestaltet sein soll, dies hatte Adolfs Weggefährte, der an Erfahrung reichere Dr. Wurz, wie Adolf selbst ein alter ego des Autors, programmatisch entwickelt. 

Ihr müsst „eine social-demokratische Gemeinde bilden und das könnt ihr von Grund aus nur in den Vereinigten Staaten. […] Ihr müsst ein Beispiel des Handelns nach Euren Grundsätzen geben. Wärt Ihr im Stande, die Gemeinde gleichberechtigter Unternehmer, gleicher Arbeiter und gleicher Eigenthümer am Betriebsfond ins Leben zu rufen, glücklich durchzuführen, und allseitig durch Industrie, Handel, Kunst und Wissenschaft zu erweitern, so hätten wir den Anfang des ewigen Friedens, und einen Zustand, der allein der Menschheit würdig ist.“ (217f.)

Ruge greift damit das Konzept der Genossenschaft auf, betont werden die Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit wie die Demokratisierung der Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft. Und schließlich ist auch kantisch vom „ewigen Frieden“ (218) bzw. von der Würde des Menschen die Rede. Das politische Konzept sieht auch eine Remigration nach Europa vor. Im Roman wird das Moment des politischen Glaubens und der politischen Mission vom jungen Adolf Duclos skizziert: „[U]nd wir, Freunde, wir werden auf größeren Schiffen [aus den USA; Anm. d. Verf.] wiederkehren, als wir fortziehen. Europa wird keine Provinz von Asien, es wird ein neuer Stern in der Union freier Staaten werden, die wir über die ganze Erde verbreiten.“ (219f.)

Und der Kaufmann Amasa ergänzt: „Freunde und Brüder“, sagt Amasa, „Ihr seid geschlagen und von Eurem Volke ausgestoßen, weil ihr ihm zehn Jahre vorangeeilt. Lasst Euch nicht irre machen, sie werden nachkommen.“ (217) Die geschlagenen Revolutionäre sind also nicht Geschlagene, sondern Deutschlands Avantgarde, die der breiten Masse politisch vorangeeilt war, diese aber, so die unerschütterliche Zukunftsgewissheit und der unverrückbare Fortschrittsglaube Amasas, werden dereinst „nachkommen“.


Arnold Ruge: Der Demokrat. Novelle aus unserer Revolution. Leipzig 1850.


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