Christoph Hamann:
Revolution für die absolute Monarchie.
Zu Alexander von Ungern-Sternbergs »Die Royalisten«.
Der Autor beendete seinen Roman Die Royalisten (1848), den ersten Teil einer Trilogie, im September 1848 noch vor der Gegenrevolution in Berlin. Die zeitliche Nähe bürge, so Ungern-Sternberg in seinem Vorwort, von genauer Kenntnis der erzählten Ereignisse, die zudem wahrheitsgetreu und unparteiisch wiedergegeben würden. Nichts ist weniger zutreffend als dies. Schon eine zeitgenössische Rezension charakterisierte das Werk als einen „Parteiroman“ (AZ) eine andere bekundete „ein herzliches Mitleid“ (GB, 80) mit dem Autor, der noch so sehr am „alten System“ (GB, 80) hänge.
Sternbergs literarische Schilderung der Ereignisse vom März bis zum September 1848 in Berlin ist von einem dezidiert reaktionären Standpunkt aus geschrieben, dessen Ziel es ist, die Größe Preußens und die Macht der absoluten Monarchie zu unterstreichen. Er kritisiert dabei auch das zeitgenössische Haus der Hohenzollern und kontrastiert es mit einem idealisierten Preußen des 18. Jahrhunderts. In seiner Beurteilung der Revolution ist der Autor scharf ablehnend und in der Wortwahl und der Charakterisierung der aufständischen Berlinerinnen und Berliner nicht zimperlich. Das zeigen zum Beispiel folgende Zeilen des auktorialen Erzählers über die Menge auf dem Schlossplatz am 18. März nach den Schüssen:
„[E]s waren Physiognomien der wildesten rohesten Art, es waren Leute in Kitteln, zerlumpt und zum Theil mit Äxten und Brecheisen bewaffnet. Diese stürzten sich in die Menge und stießen jenes grässliche Geheul aus, das an die thierischen Laute erinnerte, die innerhalb endloser Wüsteneien dem erschreckten Wanderer die Nähe hungernder und wüthender Bestien verkünden. Mit keiner menschlichen Stimme hatten diesen Stimmen Ähnlichkeit, und doch kamen sie aus menschlichen Kehlen; allein aus Kehlen von Menschen, die man künstlich durch alle erregenden Mittel zum Rasen gebracht hatte. […] völlige Anarchie in der Stadt, die roheste und ekelhafteste Pöbelherrschaft.“ (NZ 1, 93 u. 100)
Eine zentrale Rolle im Roman spielt die Verschwörung. Mit dieser soll die Revolution von 1848 diskreditiert und als „undeutsch“ dargestellt werden. Die Revolution sei im Kern nicht auf den Willen des Volkes zurückzuführen, sondern dieses sei verführt worden. Im Roman werden Frankreich und Polen als Drahtzieher der Revolution dargestellt, deren „geheimbündlerische Infiltration“ die deutschen Revolutionäre manipuliert und zu gewalttätigen Aufständen angestachelt habe.
In Paris charakterisiert einer dieser Drahtzieher sich und seine Mitstreiter als die Kader der revolutionären Tat: „[W]ir, die wir aus dem Schoße der Armuth emporgestiegen, wir, die wir dieser Armut die Schätze der Welt erobern wollen (…) Wir sind die Jesuiten unserer Kirche. Wie jene für die Reichen und Gewaltigen in den Kampf gingen, wie sie für Kirche und Staat, so wir für Armuth und Proletariat, so wir um Kirche und Staat zu vernichten.“ (NZ 1, 37)
Diese Darstellung der Revolution als Ergebnis einer Verschwörung dient dazu, die Legitimität der liberalen und demokratischen Opposition und damit der Revolution insgesamt zu negieren. Verschwörungstheorien werden in verschiedenen Varianten in den Romanen über die Revolution von 1848/49 genutzt, um den Gang der historischen Ereignisse zu erklären. Dabei agieren als klandestine Mächte immer Franzosen, Polen und Juden.
Vertiefung: Literarisches Motiv – der verlorene Sohn
Symbolisch bedeutsam und konstitutiv für die politische Botschaft des Romans ist eine in die zeitgeschichtliche Erzählung eingewebte fiktive Familiengeschichte, also ein Teil des literarischen Narrativs. Der altpreußische und hochkonservative Obrist a. D. von Rechow trifft seinen Sohn Paul nach Jahrzehnten der Trennung wieder. Dieser war als Kind verschleppt worden war und hatte, politisch verführt von französischen Hintermännern der europaweit orchestrierten Revolution, nun auf den Barrikaden gekämpft. Wider Erwarten finden Vater und Sohn nun auch politisch zueinander. Die Familienzusammenführung macht in diesem Narrativ einen in den letzten Jahrzehnten aus den Fugen geratenen Zustand rückgängig und bringt die Dinge wieder in ihre natürliche Ordnung. Das Modell diese Ordnung ist die Familie mit unverrückbaren Verteilung der Rollen und einer eindeutigen Hierarchie. Die „Familie“ fungiert im literarischen Narrativ als Akt symbolischer Befriedung, der zugleich übertragbar ist auf das politische Feld. So urteilt der Autor im zweiten Band der Trilogie wie folgt:
„Die Revolutionen sind da, um das Institut des absoluten Königthums zu säubern. […] Das absolute Königthum, das jetzt wieder aus dem Kampf und Tumult hervorgehen wird, kann nicht anders, als das Glück der Völker bilden, denn es wird in gereinigter und geläuterter Gestalt, die festeste und für die Stämme des civilisierten Europa’s passendste Regierungsform darstellen. Die Scheingestalten, die jetzt auftauchen, dort die Republik, hier das constitutionelle Königthum, sind als Kinder der Revolution nicht im Stande, gegen ihre eigenen Erzeuger sich zu halten. Sie gehören, mit Durchgangs- und Reinigungsepoche, zur Revolutionsperiode und werden mit ihr verschwinden.“ (NZ 2, 271f.)
Ungern-Sternbergs politische Vision für die Zukunft ist also die Vergangenheit – die Restaurierung der absoluten Monarchie. Man sollte ihm vielleicht zugute halten, dass er seine Haltung wenige Jahre später bereute: Er habe damals in einem „Feentempel des 18. Jahrhunderts“ (ER, 82) gelebt, in einer Märchenwelt.
AZ: Anonym: Drei preußische Romane, in: Allgemeine Zeitung (Beilage), 29. Juli 1849, S. 3245.
ER: Alexander von Ungern-Sternberg: Erinnerungsblätter, Bd. 4. Leipzig 1858.
GB: Anonym: Die Royalisten. Von A. Sternberg, in: Die Grenzboten, 7. Jg. (1848), Nr. 41. S. 80.
NZ 1: Alexander von Ungern-Sternberg: Die Royalisten. (= Neupreußische Zeitbilder. Bd. 1) Bremen 1848.
NZ 2: Alexander von Ungern-Sternberg: Die beiden Schützen. (= Neupreußische Zeitbilder. Bd. 2) Bremen 1849.
↗️zum Eintrag in der Bibliografie