Vogt: Untersuchungen über die Thierstaaten


Inhalt, KI:

Die „Untersuchungen über Thierstaaten“ stellen eine scharfe polemische und philosophische Abhandlung dar, die zoologische Beobachtungen nutzt, um die zeitgenössische deutsche Politik, insbesondere die konstitutionelle Monarchie und die Akteure der 1848er Revolution (oft als „Professoren“ oder „beste Männer“ bezeichnet), zu kritisieren.

Philosophische und physiologische Grundlagen

Der Autor beginnt mit der Infragestellung der Vollkommenheit des Menschen. Er entwickelt die zentrale These, dass die Gedanken und der Charakter eines Wesens untrennbar mit seiner Ernährung verbunden sind. Das Credo lautet: „Sage mir, was du issest und ich sage dir, wer du bist“. Eine gleichmäßige Nahrung führt zu gleichmäßigen Gedanken und damit zum Instinkt (z. B. bei Bienen oder Hornträgern), während eine ungleichmäßige, vielfältige Nahrung außergewöhnliche Gedanken und Verstand fördert (z. B. bei Ameisen und Raben).

Diese Theorie wird auf die Politik angewandt. So wird der Wandel der politischen Gesinnung von Persönlichkeiten wie Herr Rießer durch die Veränderung seiner Hirnsekretion infolge seiner Nahrungsumstellung (vom kernigen Hamburger Rindfleisch zur Frankfurter Gänsleberpastete und zurück zu Seefischen) erklärt. Die Autoren der deutschen Gegenwart sollen demnach die Apostasie, Verfolgungslust oder aristokratische Gesinnung nicht länger hassen und verfolgen, sondern sie als Resultat der genossenen Nahrung betrachten und durch eine zweckmäßige Anordnung des Regimes (Diät) beheben suchen.

Kritik an der deutschen Politik und den Professoren

Der Text richtet sich vehement gegen die sogenannte „Gothaer Partei“ und die „Professoren“, die Deutschland durch ihre abstrakt-theoretischen Konstrukte und ihre „abgeschmackte Prüderie“ verraten hätten. Der Autor beschuldigt sie, das Volk im Jahr 1848 angelogen zu haben und opportunistisch die Prinzipien der Freiheit und Einheit verdreht zu haben, um ihrem Eigennutze zu dienen. Ihre staatliche Idee, wie die Erbauer der Frankfurter Kaiserverfassung, sei zum Scheitern verurteilt gewesen, da sie „an Auszehrung starb“ und ihre Grundlage nicht auf materiellen Bedürfnissen beruhte, anders als die dauerhaften Tierstaaten. Die „Professoren“ werden als „ekelhaft fleckige Haut des schleichenden Reptils“ oder als „Kuckuksspeichel an der deutschen Eiche“ verhöhnt.

Der Bienenstaat als konstitutionelle Monarchie

Als zentrales Beispiel dient der Bienenstaat als Typus der konstitutionellen Monarchie. Die Bienenmonarchie setzt sich zusammen aus der Königin (Monarchin, die allein Eier legt), den Drohnen (Pairs/Adel, die keine Arbeitswerkzeuge und keine Waffe besitzen und von Renten leben) und den Arbeitern (Proletariat, verkümmerte Weibchen, zur Arbeit verdammt).

*💡 Staatsorganisation: Die konstitutionelle Monarchie im Bienenstaat beruht auf der systematischen Verdummung (Verkümmerung) und Sklaverei des Volkes. Die Königin ist der Inbegriff des Volkes, muss aber fruchtbar sein, sonst verliert sie an Achtung. Die Verwaltung findet nur in der Dunkelheit statt, da das Licht der Kritik und der Öffentlichkeit zur Einsicht des Proletariats und somit zur Auflösung des Staates führt. *💥 Revolution: Die soziale Ordnung wird durch periodisch wiederkehrende Revolutionen unterbrochen, die in den sozialen Verhältnissen selbst begründet sind. Im Spätsommer, wenn die Drohnen (der bevorzugte Stand) Anspruch auf die schwindenden Staatsvorräte erheben, bricht die Wut der Arbeiter in einem erbarmungslosen Massaker über die Drohnen und ihre Brut herein. Die Königin überlistet die Arbeiter nach dem Sieg jedoch, indem sie im Frühjahr neue Drohnenbrut legt, da das Volk „monarchisch verdummt“ sei und unfähig, die Konsequenzen der Revolution für die Zukunft festzustellen.

Anarchie als höchstes Ziel

Der Autor postuliert, dass sich die Vervollkommnung des Individuums erst durch die Emanzipation vom Staat entwickelt. Das höchste Ziel der Menschheit sei die Anarchie (Anarchie!), da jede Staatsform und jedes Gesetz ein Zeichen mangelnder Vollendung sei. Die Stärke des Individuums wächst in der Anarchie, während in wohlregierten Staaten die Individuen verkümmern und zu bloßen Organen der Gesamtheit herabsinken (wie in den Polypen- oder Bandwurmstaten).

Weitere Tierstaaten als Analogie

  • Heuschrecken und Verwandte: Als Analogie zum Absolutismus und dem stehenden Heer dient das Bild der Wanderheuschrecken (stehendes Heer) und der Kakerlaken/Schaben (schwarze Oblatenfresser, die das Licht scheuen und sich an kranken oder sterbenden Gesellschaften festsetzen – eine Anspielung auf Pfaffen und reaktionäre Intellektuelle). Die Beter (wandelnde Blätter) erscheinen fromm, sind aber blutdürstige Heuchler.
  • Blasenträger (Siphonophoren): Diese komplexen Meerestiere dienen als Muster für einen hochzivilisierten Staat, der auf einer leeren Staatskasse (Luftblase/Staatsschatz) und Schulden basiert. An dieser Kasse hängen die Schluckmäuler (Hohe Bourgeoisie/Finanzwelt, die alles Gute zuerst konsumieren) und die Schwimmblasen(Bureaukratie/Beamte, die den Staat bewegen). Auch hier gilt: Ruhe und Frieden sind notwendig, damit die Schluckmäuler ihren Hunger stillen können. Der Kultus (Staatsreligion) und die bewaffnete Macht (Deckschuppen/Gensdarmerie) dienen als Stützen der Finanzwelt. Der Kultus entwickelt sich erst mit der Altersschwäche des Staates.

Zur Revolution (KI):

Der Autor vertritt zur Revolution eine differenzierte Haltung: Einerseits betrachtet er sie als natürliche und unvermeidliche Folge (Zwischenergebnis) fehlerhafter Staatsordnungen, andererseits bewertet er die klassischen politischen Revolutionen – wie die im Bienenstaat beobachtete – als letztlich unfruchtbar und unzureichend, solange nicht die geistigen und materiellen Voraussetzungen im Volk gegeben sind. Das höchste Ziel ist für den Autor die Anarchie, welche jede Staatsform und jedes Gesetz überflüssig macht.

💥 Revolution als Naturgesetz und Kritik an der politischen Umsetzung

Der Autor argumentiert anhand des Bienenstaates (als Analogie zur konstitutionellen Monarchie), dass Revolutionen „in seiner sozialen Ordnung selbst begründet sind“ und in „gemessenen Zwischenräumen nach Naturgesetzen wiederkehren“. Sie sind wie Stürme, die die Luft reinigen, oder Gewitter, welche die schwülen Schwaden entladen. Sie brechen los als „Aufwallungen der Gesellschaft“, wenn die Wut der Arbeiter über die „erbarmungslosen Massaker“über die bevorzugten Drohnen hereinbricht.

Unfruchtbarkeit der Revolution: Trotz dieser Notwendigkeit und der furchtbaren Energie, mit der die Revolutionen durchgeführt werden, sind sie „unfruchtbar“. Das Bienenvolk nutzt den Sieg nicht, um die Vorteile für die Zukunft festzustellen.

Dies liegt an folgenden Ursachen:

  • Monarchische Verdummung: Die Arbeiterbienen sind „monarchisch verdummt, in Sklaverei erzogen, in harter Arbeit verkümmert“ und unfähig, sich von dem konstitutionellen System zu entfernen. Sie begnügen sich mit dem unmittelbaren Vorteil ihrer Rache und wählen nach der kurzen anarchischen Phase wieder eine Monarchin.
  • Wiederherstellung des alten Jochs: Die Königin überlistet das Volk, indem sie „unmittelbar nachher“ neue Brut von Drohnen (Aristokraten) legt, und das „alte Joch allmälich wieder hergestellt“ wird.
  • Fehlen höherer Staatsformen: Den Arbeiterbienen ist es unmöglich, einen anderen Staat zu gründen; sie sind „unfähig, eine andere Staatsform zu begreifen“ als die, welche sie eben abgeschüttelt haben.

Der Autor warnt diejenigen, die glauben, „mittelst der Gewalt Zustände auf die Dauer ändern zu können, welche in der Gesinnung des arbeitenden Volkes selbst begründet sind“. Er verneint, dass der konstitutionelle Bienenstaat eine Reform auf „gesetzlichem Wege“ kennt; die Revolution beugt lediglich „größerer Degradation vor“.

🎯 Das Ideal: Anarchie als Ziel der Menschheit

Die philosophische Haltung des Autors geht über die zyklischen, erfolglosen politischen Revolutionen hinaus. Er sieht die Anarchie als den „höchsten Zweck der Menschheit“.

In der Anarchie:

  • Vervollkommnung des Individuums: Das Individuum wird umso vollkommener, „je mehr es sich von dem Staate emancipirt“. Jede Staatsform, jedes Gesetz, sei ein Zeichen „der mangelnden Vollendung unseres Culturzustandes“.
  • Entwicklung durch Kampf: Die Anarchie „stählt die Organe, schärft die Sinne, vermehrt die geistige Kraft“, indem das Individuum im Kampf um Selbstständigkeit alle seine Fähigkeiten übt.
  • Voraussetzung materielle Änderung: Die Herbeiführung der Anarchie wird nur durch die „Aenderung der materiellen Zustände“ und die „successive Verbesserung der Ernährung“ möglich.

📜 Kritik an der gescheiterten Revolution von 1848

Der Autor äußert tiefe Verbitterung über die Akteure der deutschen Revolution von 1848 (die „Professoren“ und die „Gothaer Partei“). Er beschuldigt sie, das Volk im Jahr 1848 „angelogen“ zu haben.

Die staatliche Idee der Revolutionäre (die Frankfurter Kaiserverfassung) sei zum Scheitern verurteilt gewesen, da sie „an Auszehrung starb“ und vertrocknete. Sie konnte nicht einmal durch den „befruchtende[n] Thau, den eine Revolution bringen könnte“ wiederbelebt werden, weil die Professoren die einfache Bedingung der Stabilität, nämlich die materiellen Bedürfnisse, verkannt hatten.

Im Jahr 1851 drückt der Autor zwar seinen „Zornes und der Erbitterung“ über die gescheiterte Revolution aus, erklärt aber, dass er „jetzt noch an keine Revolution“ glaube, da die Zeit noch nicht reif sei. Die neue Zeit werde erst siegen können, wenn „die revolutionären Zoologen und die revolutionären Feldherren“ ihre Erziehung vollendet haben.


Carl Vogt, Untersuchungen über die Thierstaaten. Frankfurt a. M.: Literar. Anstalt (J. Rütten), 1851.